Lean – Mehr als Whiteboards
In unserem letzten Artikel haben wir bereits verdeutlicht, wie wichtig es ist, die Lean Denkweise nachzuvollziehen anstatt lediglich die von Toyota entwickelten Methoden anzuwenden. Um zu verstehen, was Lean wirklich bedeutet, tauchen wir tiefer in die Begriffsdefinitionen ein, die hinter Lean Management stecken.
Man sollte meinen, dass es nicht so schwer sein sollte, einen Begriff wie Lean Management zu definieren. Doch allein Google liefert zu der Suche nach „Definition Lean Management“ über 64 Millionen Suchergebnisse! Die Praxis zeigt, dass sehr viele unterschiedliche Definitionen dazu im Umlauf sind und jeder Lean Management anders definiert – hier spielt sehr stark die persönliche Erfahrung hinein.
Lean Management lässt sich, mit angepassten Methoden, abteilungs- und branchenübergreifend einsetzen, sodass ein Lean Manager im Vertrieb andere Erkenntnisse gewinnt, als einer in einer Produktionsumgebung. Genauso wird ein Lean Manager in einer Bank andere Erfahrungen machen, als einer bei einem Flugzeughersteller. Dazu kommt, das Lean Management auf verschiedenen Abstraktionsebenen definiert werden kann. Der Werksleiter wird beispielsweise einen strategischen Ansatz mit Lean Management verbinden, wohingegen ein Workshopteilnehmer möglicherweise die Vielzahl an Methoden unter Lean versteht. Niklas Modig hat in seinem Buch „This is Lean“ sehr anschaulich herausgearbeitet, worauf es bei der Definition von Lean Management ankommt und nutzt zur Darstellung der verschiedenen Abstraktionslevel eine Analogie mit Früchten.
Definition Lean Management – 3 Abstraktionsebenen:
- Ebene (Früchte): Auf dieser obersten Ebene lässt sich Lean übergeordnet als Strategie, Philosophie oder Denkweise definieren, die Flusseffizienz über Ressourceneffizienz stellt. Hierauf werden wir in einem weiteren Artikel näher eingehen. Doch gemeint ist damit, dass nicht den Menschen Arbeit zugewiesen wird, sondern der Arbeit Menschen. Der Fokus liegt also auf einer möglichst kurzen Durchlaufzeit. Leider sieht man dieses Prinzip bei den wenigsten Firmen. Die meisten haben ihre festen Angestellten und Maschinen, die sie bis zum Anschlag (oder darüber hinaus) versuchen auszulasten. Sie fokussieren sich also auf die Ressourceneffizienz. Daraus ergeben sich Wartezeiten, hohe Bestände, unnötige Mehrarbeit und demzufolge lange Durchlaufzeiten.
“It’s better to attach people to work than work to people!”
(Toyota)
- Ebene (Apfel, Birne): Hier lässt sich Lean als System verstehen, z.B. als Qualitäts- , Produktions- oder Verbesserungssystem. Wenn wir Lean auf dieser Ebene sehen, haben wir – im Gegensatz zur 1. Ebene – bereits eine bestimmte Umgebung im Sinn, in der wir Lean anwenden. Auf dieser Ebene finden wir die Produktionssysteme, die bereits viele große Firmen für sich definiert haben. An erster Stelle ist hier natürlich das Toyota Produktionssystem (TPS) zu nennen, aber es gibt auch unzählige weitere, wie z.B. das Mercedes-Benz Produktionssystem (MPS) oder das Bosch Produktionssystem (BPS). In diesen Produktionssystemen beschreiben die Firmen, mit welchen Instrumenten und Handlungsprinzipen sie ihre Produkte herstellen möchten.
- Ebene (grüner Apfel): Diese unterste Ebene definiert Lean Management als Methoden, Werzeugkasten und Vorlagen zur Einführung von Verbesserungen und Reduzierung von Verschwendung. Hiermit sind die diversen Workshops (z.B. 5S, SMED) und Tools (z.B. Shopfloor-Management, Visualisierung) gemeint, die Lean tatsächlich greif- und erlebbar machen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Mehrheit Lean genau in dieser Ebene einordnet. Der Einsatz von Whiteboards ist z.B. ein beliebtes Werkzeug, um Abweichungen zu visualisieren. Daher hört man auch öfters: „Mit Lean verbinde ich die Nutzung von Whiteboards.“ Doch ist dies nur ein Mittel zum Zweck. Erst die mehrfache Frage nach dem Warum bringt uns zu dem dahinter stehenden Prinzip: Fokus auf Kundenzufriedenheit!
Vom Werkzeug zum Prinzip: Die Frage nach dem “Warum?”
4. Warum möchten wir Kundenaufträge möglicht schnell produzieren?
Kundenzufriedenheit ist unsere Hauptfokus.
3. Warum möchten wir Störquellen beseitigen?
Um Kundenauträge möglicht schnell produzieren zu können.
2. Warum möchten wir Abweichungen erkennen?
Um Störquellen beseitigen zu können.
1. Warum nutzen wir Whiteboards?
Weil wir Abweichungen erkennen möchten.
Niklas Modig hat diese Ebenen sehr anschaulich in folgender Grafik verbildlicht, die die verschiedenen Abstraktionslevel zeigt:
“Lean is everything from fruit to green apples.”
(Niklas Modig)
Um Lean Management in Gänze zu erfassen und richtig anzuwenden, ist es also wichtig, diese verschiedenen Ebenen und Definitionen zu verstehen und sich bewusst zu machen, auf welcher Ebene man derzeit agiert. So macht es keinen Sinn zu Beginn einer Lean Einführung mit Workshops zu starten, nur weil der schnelle Erfolg greifbar erscheint. Vielmehr solltest du dich zunächst mit der 1. Ebene beschäftigen. Klar ist aber auch, dass jede Ebene seine Darseinsberechtigung hat und für eine erfolgreiche Lean Reise, entsprechend berücksichtigt werden muss. Zudem ist es wichtig, den bisherigen Lean Weg immer wieder zu hinterfragen und falls nötig anzupassen. Oftmals wird zwar anfangs Zeit in die ersten beiden Ebenen investiert, im weiteren Verlauf wandert der Fokus aber immer mehr zur 3. Ebene — auf die Umsetzung der Methoden. Doch nur wenn alle 3 Ebenen dauerhaft im Blick behalten werden, ist es möglich das Gesamtbild zu sehen, Silodenken zu vermeiden und auf die Erfüllung der tatsächlichen Kundenbedürfnisse zu fokussieren.
Um das Erfolgsgeheimnis von Toyota zu verstehen, empfehlen wir dir das Buch „This is Lean“ von Niklas Modig, indem er in einfachen Beispielen und bildlicher Sprache die Lean Prinzipien und Toyotas Denkweisen beschreibt sowie den Unterschied zwischen Fluss- und Ressourceneffizienz darstellt.
Eine Zusammenfassung dazu kannst du dir in diesem Video von Niklas Modig ansehen: